Steueroase beim EM-Gastgeber: Schweizer Sportparadies
Die Frauen-EM findet in der Schweiz statt – im Machtzentrum des Weltsports. Die Zeiten der Narrenfreiheit für die Verbände scheinen aber vorbei.

Für den Erfolg der Schweiz gibt es natürlich ein offenes Geheimnis: Steuern und Korruption. Man geht sehr großzügig mit den internationalen Sportverbänden um. So gibt es nur rund zwanzig Gesetzesartikel, die sich überhaupt auf Sport-Hauptsitze beziehen, viele davon sind nicht obligatorisch. In der Schweiz werden Fifa, Uefa und Co. juristisch als gemeinnützige Vereine statt als Unternehmen behandelt, also wie ein Kaninchenzüchterverein. Und genauso versteuern sie auch.
Ein Bericht des Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) von 2024 hält fest, dass die Fifa selbst im Männer-WM-Jahr 2022 nur etwas über 20 Millionen Franken Steuern entrichten musste. Demgegenüber stehe ein Reingewinn von mehr als 1 Milliarde Franken zwischen 2019 und 2022. Die Verbände müssen keine Bücher führen und keine Abschlüsse veröffentlichen, auch das ist sehr praktisch. Privatbestechung war bis 2016 nicht einmal illegal.
Was die Schweiz davon hat? Da ist man sich nicht so einig. Materiell profitiert sie trotz des niedrigen Steuersatzes ordentlich. Eine Studie aus dem Jahr 2021 postulierte, dass die Schweiz durch die internationalen Sportverbände zwischen 2014 und 2019 jährlich 1,68 Milliarden Franken eingenommen habe. Das berechnet sich vor allem aus Ausgaben der Angestellten vor Ort, Geschäftstourismus wie Hotelübernachtungen, lukrativen Aufträgen an die Baubranche und eben dann doch Steuern.
Profite höchst ungleich verteilt
Allerdings sind diese Profite höchst ungleich verteilt; so gehen allein 550 Millionen jährlich an den Bezirk Lausanne, also gut ein Drittel aller Einnahmen. Hinzu kommen diplomatische und politische Vorzüge. In Umfragen hält eine Mehrheit der Schweizer:innen die Anwesenheit großer Sportverbände für wichtig. Dennoch gibt es auch Kritik am Hofieren der Korrumpels, deren Ausgaben vor allem Luxushotels und Prunkbauten zugutekommen.
Trotz allem ist der schnöde Mammon nicht das einzige Motiv, denn Steuererleichterungen würden gewiss auch andere Staaten bieten. Es lebt sich einfach auch gut als Verband in der Schweiz. Als das IOC 1915 als erster großer Verband nach Lausanne zog, zählten zu seinen Argumenten die verkehrsgünstige Lage der Schweiz, die außenpolitische Neutralität und die hohe innere Stabilität. Kriege, Revolutionen oder Putsche sind hier nicht wirklich zu befürchten. Die anderen olympischen Verbände zogen vor allem hinterher, um einen engeren Draht zum allmächtigen IOC und bessere Karten als olympische Sportart zu haben. Die finanzielle Abhängigkeit hat noch in den letzten Jahrzehnten immer mehr Verbände nach Lausanne geführt.
Fußball und Schweiz eng verflochten
Der internationale Fußball, ein vom IOC recht unabhängiger Betrieb, hat ebenfalls schnell in die Schweiz gefunden: Die Uefa wurde gleich dort gegründet, die Fifa zog 1932 aus Paris her. Denn Fußball und Schweiz waren früh eng verflochten. Der Historiker Simon Engel vom Schweizerischen Nationalmuseum hat aufgedröselt, wie der Fußball bemerkenswert früh in die Schweiz kam. Das lag vor allem an engen wirtschaftlichen Verbindungen mit Großbritannien.
Bereits ab 1853 lässt sich der moderne Männerfußball nachweisen, also kaum später als in England. In Deutschland fand das erste Spiel wohl gut zwanzig Jahre später statt. Klubnamen wie die Young Boys Bern oder Grasshoppers Zürich künden bis heute vom englischen Einfluss. Simon Engel schreibt, dass auch das politische und wirtschaftliche Klima in der Schweiz für den Fußball günstig gewesen sei. Die Industrialisierung war relativ weit fortgeschritten. „Das industrielle Zeitalter brachte eine junge und aufstrebende Gesellschaftsschicht hervor, die für Freihandel, Kosmopolitismus sowie Wettbewerb einstand und diese Werte auch im Fußball erfüllt sah.“
Vorsprung wird Standortvorteil
Der zeitliche und gesellschaftliche Vorsprung wurde zum Standortvorteil für die Schweiz. Nicht nur gründeten zahlreiche Schweizer Pioniere in Südeuropa Fußballklubs, darunter den FC Barcelona, sie erteilten auch Kollegen etwa aus Frankreich, Deutschland und Bulgarien Fußballnachhilfe. So wurde die Schweiz zu einem frühen Hotspot des europäischen Fußballs. Und beinahe logisch zu seiner Verwaltungszentrale.
Der romantische Höhepunkt der Ehe zwischen Fußballverbänden und der Schweiz scheint allerdings mittlerweile überschritten. Nach dem Machtkampf zwischen Fifa und US-Justiz – festgehalten auf dem ikonischen Foto von Fifa-Funktionären, die in einem Schweizer Nobelhotel 2015 hinter dem Schutz eines Betttuchs verhaftet wurden – sah sich die staatliche Justiz gezwungen, ganz sanft die Schrauben anzuziehen. Korruption in Sportverbänden ist nun auch in der Schweiz eine Straftat, und die Funktionär:innen werden als politisch exponierte Personen (PEP) kontrolliert, wenn auch nicht besonders engagiert. „Wenn sich weiterhin falsche und irreführende Behauptungen gegen die Fifa richten, denken unsere Mitgliedsverbände möglicherweise, dass wir in Zürich nicht willkommen sind“, teilte der Weltverband verschnupft mit.
2024 hat die Fifa sich mit einer Statutenänderung selbst einen Wegzug aus Zürich ermöglicht; Büros unterhält sie längst auch etwa in Paris, Miami, Jakarta und Singapur. In der Schweiz sorgte das kurz für Schnappatmung. Gerüchte über einen Umzug der Hauptzentrale nach Saudi-Arabien machten die Runde. Möglich, dass das im Zuge der weltweiten Machtverschiebungen auch so kommt. Möglich aber auch, dass es sich nur um einen Warnschuss handelte: Wenn eure Hand eines Tages nicht mehr die unsere wäscht, sind wir weg.
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